Unsere Gesellschaft hat sich stark verändert. Und mit ihr die Art und Weise, wie Glauben gelebt werden möchte. Mehr Spiritualität bei gleichzeitigem Mitgliederschwund der Volkskirchen. Auch Freikirchen sind im Zeitalter des Lifestreams herausgefordert. Gleichzeitig bringt die zunehmende Individualisierung auch eine starke Sehnsucht nach Beziehungen hervor.
Die Struktur der Freikirchen stammt noch aus dem Industriezeitalter
Die Freikirchen sind im Wesentlichen während des Industriezeitalters entstanden. Entsprechend stammt ihre Struktur noch aus längst vergangenen Tagen: Werte wie auf lange Zeit angelegte Verbindlichkeiten, lineare Prozesse, „Facharbeitermentalität“, Arbeitsteilung und Kleinfamilienstruktur werden in der freikirchlichen Gemeinde noch immer hoch gehalten.
Vor 30 Jahren war eine freikirchliche Ortsgemeinde noch mit 50, 60 oder 70 Leuten gut aufgestellt. Mit ihnen konnte sie durchaus ihr Gebäude sowie Gottesdienste, Kinderdienst, Jugend- und Kleingruppenarbeit unterhalten. Heute braucht es aufgrund von verschiedenen Faktoren mindestens 100 Leute dafür. Bleiben diese (noch) aus, hat aber auch eine kleinere Gemeinde viele Chancen, kraftvoll zu wirken. Aus meiner Sicht sollte sie dafür auf folgende drei Komponenten setzen:
Identität, Gemeinschaft und Bevollmächtigung
1. Ekklesia – Die versammelte, identitätsstärkende Gemeinschaft mit Abendmahl
2. Koinonia – Die Gemeinschaft der Gläubigen
3. Diaspora – Bevollmächtigung, in der Gesellschaft Salz und Licht zu sein
Mehr braucht es nicht, seien es 20 oder 2000 Gemeindeglieder. Tatsache ist, dass 80% der freikirchlichen Ortsgemeinden in Deutschland sich unter der 100-Mitglieder-Marke befinden. Als Gemeindeberater weiß ich, dass oftmals die Ressourcen nicht ausreichen, um einen qualitativ hochwertigen Gottesdienst im Stil von Hillsong anzubieten. Meiner Meinung nach können wir uns aber auch auf andere Qualitäten besinnen und diese stärken. Insbesondere den familiären Charakter einer Gemeinde.
Eine Gemeinschaft, die füreinander einsteht, einander ermutigt und stärkt ist eine herausragende Gemeinde. Sie ist dann bereits eine Qualitätsgemeinschaft mit einer Kultur der Ehre, in der man Christus im anderen sieht. Dies allein macht eine Gemeinde äußerst attraktiv, ob sie darüber hinaus tolle Programme zustande bringt oder nicht.
1. Die identitätsstärkende Versammlung
Wenn wir uns versammeln, sollte dies immer unsere Identität als Christen stärken. Gerade, weil wir im Alltag vielen anderen Definitionen von uns ausgesetzt sind. Wenn wir zusammenkommen, sollte uns immer bewusst sein, dass wir dies tun, weil wir Jesus nachfolgen und er uns erlöst hat. Im Zentrum hierfür steht das Abendmahl, aus dem sich das Wort Gottes, das prophetische Reden, das persönliche Zeugnis, die gemeinsame Anbetung und viele Elemente entwickeln können.
Die Qualität einer Gemeinschaft zeigt sich für mich auch darin, dass wir uns danach neu bewusst sind, wer wir in Christus sind. Ansonsten war es nur ein mehr oder weniger gutes Event.
2. Beziehungen und Vorbilder machen den Unterschied
Eine Gemeinschaft mit starker Beziehungsstruktur bleibt immer zeitgemäß, gemäß Apg. 2, 42-46: „Sie ließen sich von den Aposteln unterweisen, sie hielten in gegenseitiger Liebe zusammen, sie feierten das Mahl des Herrn und sie beteten gemeinsam…“ Liebevolle, verbindliche Beziehungen zu leben war seit jeher eine der christlichen Kernkompetenzen und wird in unserer säkular-individualistischen Welt immer wertvoller.
Mein Wunsch ist, dass wir auch zunehmend Jüngerschaftsprozesse, in denen wir Menschen in ihrem Glaubenswachstum begleiten, in unseren Lebensalltag verlagern. Auch können sich Christen gegenseitig stärken, indem sie sich z. B. bei der Arbeit zum Mittagessen verabreden oder mit ihren kleinen Kindern am Spielplatz treffen. So entstehen christliche Kleingruppen mitten im Leben!
3. Wir leben wie die Juden in der Diaspora
Mir ist bewusst geworden, dass wir in einer postchristlichen Gesellschaft leben, die in gewisser Hinsicht vergleichbar ist mit dem Volk Israel in der Diaspora: Zerstreut und umgeben von anderen Ideologien, Religionen und Strömungen. Die Synagogen waren erst in der Zeit der Diaspora entstanden. Dort versammelten sich die Juden, um ihre Identität nicht zu verlieren, sie vielmehr zu erhalten.
Auch die christliche Gemeinde heute lebt in einer Gesellschaft, die nicht wirklich gottesfürchtig ist. Wir brauchen deshalb Orte, an denen wir uns immer wieder bewusst werden, was unsere wahre Identität in Christus ist mit allem, was dazu gehört. Das ist für mich der Kern von Gemeinde.
Die Gemeindeglieder als das Programm Gottes in der Welt
Wenn die oben genannten Säulen eine christliche Gemeinschaft tragen, können Gemeindeprogramme auf das Wesentliche reduziert werden. Dann ist es auch zweitrangig, ob wir 20 oder 500 Leute zählen. Denn jedes Gemeindeglied ist in der Lage, sein Christsein kraftvoll in den Alltag zu tragen. Es ist sozusagen 24 h / 7 Tage das Programm Gottes in dieser Welt.
Dein Michael Winkler
Danke Michael.
All die letzten Jahrzehnte, war die hauptsächliche Lehrausrichtung in den Fragestellungen: WER IST DEIN GOTT? WAS KANN DER? WAS WILL DER? WAS HAT ER GETAN? verhaftet.
Jetzt öffnet der Geist Gottes unsere Herzen auch zu der Fragestellung: WER BIST NUN DU DURCH DEINEN GOTT?
Dies lenkt einen Jeden in Richtung allgemeines Priestertum, Priester an Christi statt. Was für eine Herrlichkeit er uns damit gegeben hat, nach Joh. 17, erweisst sich in dem liebevollen Umgang und der Gnade füreinander und der Ausrichtung: FÜR WAS BIN ICH GESETZT,um Salz und Licht zu sein?
Was mich sehr erfreut ist, daß dies mittlerweile schon in einer großen Breite in vielen Denominationen zu entdecken ist.
Deshalb ein herzliches Danke an alle die die Stadtreformer ermöglicht. Da ist Auferstehungskraft drin.
„Was mich sehr erfreut ist, dass dies mittlerweile schon in einer großen Breite in vielen Denominationen zu entdecken ist.“
Das muss ich als Katholik bestätigen. In „Evangelii Gaudium“ hat PP. Franziskus seinen Masterplan für eine umfassend missionale Besinnung auf das gemeinsame Priestertum grundgelegt, mit einem ganz evangelikalen Ansatz (Nr. 3). Die dt. Bischöfe haben in „Gemeinsam Kirche Sein“ mit dem herkömmlichen Klerikalismus gebrochen und auf 51 Seiten 57 Mal das Wort „charismatisch“ in seinen grammatischen Formen gebraucht.
Leider wollen viele Hauptamtliche von diesem „Wehen der Erneuerung“ nichts wissen, geschweige denn dass sie und die verantwortlichen Gemeindegremien diese Texte überhaupt gelesen haben. Es gibt also noch viel zu tun! Packen wir’s an!
Danke für die einfache und klare Sprache, das ist das wesentliche über Gemeindeleben. Wir leben seid Jahren schon das im Rahmen von Hausgemeinschaften ,wichtig bei kleineren Gruppen aber ist ein Teil des Leibes zu bleiben , sich nicht abzutrennen und seinen eigen individuellen Auftrag von Gott zu erkennen und auszufüllen.
Toller Blog, interessanter Artikel und Kommentare. Vielen dank für die tollen Informationen. Gott sei mit uns.
Aus meiner Sicht sind die genannten Ansätze in unserer heutigen multimedialen Gesellschaftsstruktur notwendig und dringend erforderlich. Grundwerte zu schaffen und diese im christlichen Sinn erlebbar zu vermitteln und zu transportieren, erfordern ganz neue Herangehensweisen. Die Erkenntnis der „Stadtreformer“ im eigenen kleinen oder größeren Umfeld, in der eigenen Wirkungssphäre, das Bekennen zu Jesus Christus, aktiv zu leben und weiter zu tragen, sind zwar nicht neu, müssen aber neu auf- und dargestellt werden, nur so kann der Boden unserer multikulturellen Gesellschaft aufgearbeitet werden. Es würde mich sehr freuen, wenn auch die Politik aller Couleur und NGO diese Performence übernehmen würde. Aus meiner Sicht bildet die Initiative den Eckstein für Integration. Bisher war Der Begriff Integration von allen Beteiligten sehr nebulös, ohne Inhalt, ohne Wirksamkeit und ohne Macht betitelt.
Ich wünsche den Stadtreformern den Segen unseres Herrn Jesus Christus und den Heiligen Geist für die vornehme Aufgabenstellung.